Mein aquatisches Tagebuch: Einsiedler im Eigenheim

Von einem Meeresbewohner, der sein Haus mit sich herumträgt, und öfter mal umzieht: Der Einsiedlerkrebs

Dieses Aquariumsbecken unterscheidet sich in seinem Erscheinungsbild deutlich von den sonst üblichen Aquarienbecken, denn statt gemächlich schwimmender Fische wuseln hier Krebse über den Boden und klettern bisweilen sogar auf dem in der Mitte befindlichen, ausgehöhlten Stein herum. Es handelt sich um den Einsiedlerkrebs Eupagurus bernhardus, dessen „Markenzeichen“ ein Schneckengehäuse ist, das er nahezu während seines gesamten Lebens mit sich herumträgt.

Einsiedlerkrebs Eupagurus bernhardus auf einem Hohlstein
Foto: E. Hensel

Nur zur Häutung und zur Fortpflanzung verlässt er freiwillig kurzzeitig sein schützendes Gehäuse. Wird dem wachsenden Krebs das Gehäuse zu eng, muss er sich ein größeres suchen, in das er dann blitzschnell hinüberwechselt. Bisweilen kommt es aber auch vor, dass ein Einsiedlerkrebs sich des Gehäuses eines anderen bemächtigt, indem er diesen einfach aus seiner mobilen Unterkunft herauszerrt. Der Schwächere muss sich dann eine neue Bleibe suchen. Ein solches Herausziehen soll eigentlich durch einen Widerhaken am Körperende verhindert werden, der sich im Laufe der Evolution aus dem „Schwanzfächer“ entwickelt hat. Aber nicht nur der Haken ist eine besondere Anpassung an die außergewöhnliche Behausung, sondern auch die spezielle Gestaltung des Hinterkörpers: Dieser ist, anders als bei anderen Krebsen, weich und schraubig gewunden, sodass er in die Schale passt. Die beiden hinteren Beinpaare sind stark verkürzt; sie halten die Schale und stemmen sich von innen gegen den Schalenrand, wenn man versucht, die Tiere herauszuziehen. Die größere der beiden Scheren dient auch dazu, die Gehäuseöffnung zu verschließen, wenn sich der Krebs bei Gefahr ganz in das Gehäuse zurückgezogen hat. Um diese Schere in eine passgerechte Form zu bringen, zieht sich der nach einer Häutung noch weiche Krebs in das Gehäuse zurück und presst die Schere in die Gehäuseöffnung, wo sie dann in der entsprechenden Form aushärtet. Ob es Vorlieben für bestimmte Gehäuseformen oder -größen gibt?

In der Tat bevorzugen kleinere Einsiedlerkrebse Gehäuse der Strand- oder der Kreiselschnecke und sind daher häufiger in der Gezeitenzone zu finden, wo diese Schnecken leben. Benötigen sie größere Gehäuse, wandern sie in tiefere Wasserbereiche, in denen sie sich meistens die Gehäuse der Wellhornschnecke aneignen.

Um eventuelle Formenpräferenzen zu testen, hatten Forscher der Universität Köln von ihren Glasbläsern verschieden gewundene Gehäuse aus Glas herstellen lassen, die einer Gruppe von Einsiedlerkrebsen als mögliche neue Behausungen angeboten wurden. Lediglich ein Einsiedlerkrebs befand dasjenige Glasgehäuse, welches dem natürlichen am ähnlichsten war, als tauglich und attraktiv. Nachdem er mitsamt seiner neuen Behausung wieder in ein Schaubecken gesetzt worden war, zog er jedoch den „Altbau“ vor, und wechselte zurück in ein echtes Schneckengehäuse.

Einsiedlerkrebs im Glaushaus
Foto: E. Hensel

Manchmal haben die Krebse bei ihrer Wanderung durch das Becken nicht nur die Last des Gehäuses zu tragen, sondern sogar einen kleineren Artgenossen im Schlepptau. Dieser wird sehr energisch mit einer der beiden Scheren am Gehäuse festgehalten, damit an der Flucht gehindert, und vehement gegen Artgenossen verteidigt. Warum unterziehen sich die Tiere nun dieser zusätzlichen Belastung? Vermutlich der Fortpflanzung wegen, denn diese kann nur im Zusammenhang mit der Häutung erfolgen. Und um sich den geeigneten Geschlechtsgenossen rechtzeitig zu „sichern“, wird dieser nach der Verbreitung von bestimmten Duftstoffen, die bei der Vermehrung der Einsiedlerkrebse eine wichtige Rolle spielen, quasi „adoptiert“.

Zwei Einsiedlerkrebse im Schlepptau
Foto: E. Hensel

Allerdings fallen einige Exemplare nach der Häutung auch anderen gefräßigen Kollegen zum Opfer, da sie kurzzeitig nicht mehr durch ihr Gehäuse geschützt sind. Das Becken der Einsiedlerkrebse beherbergt außerdem noch Felsengarnelen der Art Palaemon serratus (s. Foto mit dem Hohlstein), die allesamt zu spannenden Beobachtungen in die Welt der Krebse einladen. Und wenn Ihnen demnächst am Strand ein schnell laufendes Schneckengehäuse begegnet, dann ist es vermutlich die mobile Wohneinheit mit dem dazugehörigen Bewohner, dem Einsiedlerkrebs.

Autor: Dr. Emanuel Hensel

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