Das Wandern ist des Fisches Lust: Wanderungen sind in der Natur keine Seltenheit. Sowohl bei den Landlebewesen, als auch bei Bewohnern der wässrigen Lebensräume finden wir Arten, die solche Wanderungen mit großer Regelmäßigkeit durchführen. Das Ziel ist dabei immer, die Überlebenschancen zu verbessern. Anpassungsfähigkeit an die Lebensbedingungen ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Evolution und damit zum Leben auf unserem Planeten. Denn wer sich nicht anpasst, hat auf Dauer keine Überlebenschance. Das bedeutet aber keine Gleichmacherei, sondern hat im Gegenteil zu der immensen und faszinierenden Vielfalt der Organismen geführt. Diese enorme Fülle an unterschiedlichen Ausprägungen findet sich auch bei den Wanderungen wieder. So gibt es tägliche und jährliche Wanderungen, horizontale und vertikale.
Die täglichen vertikalen Wanderungen von Organismen in der Wassersäule sind oft ein Kompromiss zwischen den Anforderungen der Ernährung und der Feindvermeidung. Nur nachts halten sich viele Tiere in den oberen, hellen Wasserschichten auf, in denen sie die besten Ernährungsbedingungen finden. Tagsüber entziehen sie sich optisch orientierten Feinden, indem sie tiefere, dunkle Schichten aufsuchen. Da also viele Tierarten, die tagsüber nur in tieferen Wasserschichten auftreten, durchaus auch den wesentlich geringeren Druck an der Wasseroberfläche ertragen, lassen sie sich oft problemlos in Schauaquarien halten.
Aber Migrationen dienen nicht nur der Ernährung, sondern auch der Fortpflanzung, wie zum Beispiel bei Stören, Aalen, Lachsen, Meerforellen und viele andere Arten.
Foto: E. Hensel
Viele Störarten wandern aus dem Meer kommend die Flussläufe hinauf, um dort abzulaichen und so ihren Fortbestand zu sichern. Die erwachsenen Tiere begeben sich dann wieder direkt zurück ins Meer, während die Jungtiere einen wesentlich längeren Zeitraum benötigen, bevor sie die Flussmündung erreichen. Bei den Jungtieren des Europäischen Störs (Acipenser sturio) dauert dies etwa 3,5 Jahre. Diese Störart war – wie der Name bereits andeutet – in nahezu allen Meeren Europas und ihren Zuflüssen verbreitet. In Deutschland war der Europäische Stör wegen seines Fleisches und der Eier (Kaviar) eine sehr begehrte Fischart, allerdings bereits Ende der 1930er-Jahre fast gänzlich durch Überfischung, Wasserverschmutzung und Flussverbauung ausgelöscht. Das letzte Exemplar dieser Störart, der in der Nordsee um Helgoland Ende der 1960er-Jahre gefangen wurde, drehte viele Jahrzehnte im Arenabecken des Aquariums Helgoland seine Runden. Er erfreute sich trotz seines hohen Alters von mehr als 50 Jahren bester Gesundheit, und erhielt lediglich Vitamine sowie – zur Bewahrung seiner Gelenkigkeit – ein Mittel gegen Arthrose. Trotz des globalen Rückgangs der Fischbestände, ist es französischen Wissenschaftlern nach über dreißigjähriger Forschung gelungen, den Fortbestand dieser Fischart durch künstliche Reproduktion in Aquakultur zu sichern. Der Wiederbesatz der Flüsse in Europa mit dieser Störart hat bereits begonnen.
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Und auch der Europäische Aal (Anguilla anguilla) vollbringt wahre Höchstleistungen auf seiner Wanderung durch den Ozean: Zur Vermehrung in der Sargassosee, einem Gebiet im Atlantik östlich von Florida und südlich der Bermuda-Inseln, mit ausgedehnten Beständen der an der Oberfläche treibenden Braunalge Sargassum, legt er ausgehend von den Europäischen Küsten eine Strecke von ca. 5000 Kilometer zurück. Dabei schwimmt er ohne Nahrungsaufnahme fünf bis sieben Monate pro Tag etwa 30 bis 40 Kilometer weit. An seinem Ziel angekommen, laicht er in den oberen, wärmeren Wasserschichten ab, und stirbt danach. Die Fischlarven begeben sich dann auf dieselbe, lange Reise – jedoch in umgekehrter Richtung – an die Küsten und in die Flüsse Europas, wo sie die Gestalt der Erwachsenen annehmen, heranwachsen und dann zur Fortpflanzung erneut auf Wanderschaft gehen.
Wie die Wanderung genau erfolgt, in welchen Tiefen und mittels welcher Orientierungshilfe, ist noch weitgehend unbekannt. Vermutlich schwimmen die erwachsenen Tiere zur Sargassosee in erheblichen Tiefen und orientieren sich am Erdmagnetfeld, während die Larven den Golfstrom als „Transportmittel“ benutzen.
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Für die Orientierung benutzen Fische grundsätzlich dieselben Sinne wie Menschen, also den Seh-, den Gehör- und Geruchs- sowie den Tastsinn. Darüber hinaus kann ein sogenanntes Seitenlinienorgan auch Druckunterschiede im Wasser wahrnehmen. Der Mechanismus der Reizwahrnehmung und der Aufbau der Sinnesorgane unterscheiden sich aber aufgrund der besonderen Eigenschaften des umgebenden Mediums – dem Meerwasser – grundsätzlich von denen der Landbewohner. Zusätzlich besitzen viele Fische auch einen sehr deutlich ausgeprägten elektrischen Sinn. Sie können damit einerseits elektrische Felder in direkter Umgebung wahrnehmen und beispielsweise zum Auffinden von Beute einsetzen, andererseits aber auch das Magnetfeld der Erde auf ihren Wanderungen nutzen.
Entscheidend für das Auffinden der heimischen Gewässer bei Stör, Aal, Meerforelle und anderen regelmäßig wandernden Fischarten ist aber letztlich der Geruchssinn, mit dem die Tiere den flusseigenen, typischen „Geruch“ – das heißt die chemische Zusammensetzung – wahrnehmen und wieder erkennen.
Autor: Dr. Emanuel Hensel
(ursprüngliche Autoren 03/2011: Prof. Dr. Heinz-Dieter Franke / Dr. Emanuel Hensel)

